Petition: Sport­unterricht ohne Noten!

Kolumne

Ein Mensch ist dann glücklich, wenn er sich kreativ betätigen kann und nicht, wenn er stupide Wiederholungen abarbeitet. Fehler müssen zugelassen und nicht durch Noten unterdrückt werden.

Glück & Gesundheit kommen auch ohne Noten

Was nun folgt, soll kein Fingerzeig sein, sondern lediglich als Hinweis dienen. Etwas, das dazu anregt, die Perspektive auf den Unterricht zu ändern. Um Menschen für Bewegung zu motivieren, gibt es funktionalere Wege, als die bisherigen. Ich habe mir die Rahmenpläne für Sport des Landes MV angeschaut und dort taucht nirgends der Begriff Glück auf. Es ist hier und da mal die Rede von Gesundheit im Allgemeinen, von zu erreichenden Kompetenzen, aber nie vom Glück eines Menschen. Sollte das nicht unser höchstes Ziel sein?

Wir haben eine Petition erstellt, bitte beteilige dich daran, solltest du der gleichen Meinung sein. >> Hier geht`s zur Petition!

Roboter sind messbar, menschliche Originalität nicht

Birgit Hesse, ehemalige Bildungsministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur M-V, blieb bei einem Benotungsmaßstab für die Schülerschaft Ihrer Vorgänger, welcher in einem Kreativfach wie Sport, die Kinder lediglich objektiviert. Was gemessen wird, sind zum größten Teil quantitative Werte: Wie viele Liegestütze, wie schnell gelaufen, wie oft Seilgesprungen. Die Komplexität eines lebendigen Kindes wird damit zu einer simplen Zahl heruntergebrochen. Das allein zu messen, entspricht nicht der Wahrheitsfindung von Bewegung im Ganzen. Es bedeutet, die Welt durch ein kleines Schlüsselloch wahrzunehmen. Darum geht es bei körperlicher sowie mentaler Bewegung allerdings nicht. Es ist, als würden wir nur diese Bewegungen hier messen: Hand hoch runter. Es sind Bewegungen, die Menschen zu Robotern machen. Ein Liegestützt reicht aus, um sich nach dem Hinfallen wieder aufzurappeln. Wozu also überhaupt mehr als 10 Wiederholungen messen? Aber was ist mit dieser Bewegung: Hand in Wellenform bewegen. Dies ist eine organische Bewegung, etwas, das sich nur schwer messen lässt, denn es spiegelt die Originalität sowie die Authentizität des Lehrlings wider.

Kreativität muss Fehler zulassen

Nach Erich Fromms Werk „Authentisch Leben“ besteht die positive Freiheit im spontanen, kreativen Tätigsein der gesamten, integrierten Persönlichkeit. Das ist es, was uns Stärke verleiht.[1] Ein Mensch ist dann glücklich, wenn er sich kreativ betätigen kann und nicht, wenn er stupide Wiederholungen abarbeitet. Der Neurowissenschaftler David Eagleman schreibt in „Kreativität – Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft“: Motivation sei alles und der vielleicht am meisten unterschätzte Aspekt der Bildung. „Um eine Blühende Gesellschaft kreativer Erwachsener zu schaffen, brauchen wir Kinder, die keine Angst haben, falsche Antworten zu geben.“[2] Doch die Tragweite dessen, wie sich die Psyche der Kinder durch das Messen dieser dauernden Wiederholungen und die darauffolgenden Benotungen auswirken, ist verheerend, beschreibt der Historiker und Kindheitsforscher Michael Hüter in seinem Werk „Kindheit 6.7“ eindringlich.[3]

[1] Erich Fromm: Haben oder Sein. Spiegel, Berlin 2007.

[2] David Eagleman, Anthony Brandt: Kreativität. Wie Denken die Welt immer wieder neu erschafft. Siedler, München 2017, S. 214ff.

[3] Michael Hüter: Kindheit 6.7. Ein Manifest. Edition Liberi & Mundo, Melk an der Donau 2018.

Bewusstsein für Würde

Auch der weltweit angesehene Trainer sowie College Professor Dan Millman warnt in seinem Buch „Body, Mind, Mastery“ vor einer einheitlichen Benotung der Kinder, die aufgrund ihrer verschiedenen genetischen Voraussetzungen unter kein simples Bewertungsmuster fallen sollten.[4] Eine Benotung stellt jeden Menschen bloß. Selbst, wenn ich allein in einem Raum einen Zettel mit der Note 2 darauf erhalte, wird mir ja nur aufgeführt, was ich auch so schon längst wusste. Allerdings wird mir etwas viel Schwerwiegenderes suggeriert: Nämlich, dass ich nicht genug wert bin für eine Eins. Dass mein Bestes nicht gut genug ist. Mir wird nicht gesagt: „Hey, das kannst du besser, hier hast du eine dritte, vierte, fünfte Chance und anhand der Verbesserung bewerte ich dich am Ende des Jahres, sondern hier ist deine letzte Chance, um mir zu beweisen, was du drauf hast.“ Für die menschliche Psyche ist es, als würdest du eine imaginäre Waffe auf jemanden feuern. Viele Sportlehrer geben zwar mehrerer Chancen, aber ihnen sind durch die Rahmenpläne Grenzen auferlegt. Was bewertet wird, ist das Resultat und leider nicht die Entwicklung des Kindes. Bedenken wir, dass Sport der spielerischen Erfahrung dienen sollte, dann ist dieser Bewertungsmaßstab vermessen. Diese objektive Wertschätzung schränkt unser Bewusstsein für ein würdevolles Leben ein. Der populäre Psychologe Gerald Hüther erklärt in seinem Werk „Würde“, dass vor allem komplexe, sich ständig ändernde Bewegungsmuster für unser Überleben nötig sind und dass jeder Mensch ein Bewusstsein für Würde erlangen muss, um ein Leben in Selbstakzeptanz und Freiheit zu führen.[5] Wie wäre es, wenn sich Schüler in Absprache mit ihrem Lehrer selbst bewerten? So könnte der eigene Anspruch die intrinsische Motivation des Schülers steigern.

[4] Dan Millman: Body, Mind, Mastery: Creating Success in Sport and Life. New World Library, Kanada 1999.

[5] Gerald Hüther: Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft. Knaus, München 2018.

Bilden Noten ein falsches Druckmittel?

Was nützen uns gute Sportnoten schon für die Zukunft? Allerdings existiert unter Lehrern das Totschlagargument, dass vor allem für pubertierende Null-Bock Schüler ohne Zensuren kein Druckmittel mehr zur Verfügung stünde, zur Bewegung zu animieren. Tja und wenn so mancher Lehrer kein Geld kriegen würde, dann gäbe es auch kein Druckmittel für ihn, diesen nervenzerreibenden, ohnehin schon unterbezahlten und laut Wissenschaft methodisch hinterherhängen Job weiter auszuführen. Aber sind Noten und Geld das richtige Druckmittel? Darf es für sportliche Betätigung überhaupt ein Druckmittel geben oder ist das vielleicht schon seelische Körperverletzung? Ein Unterrichtskonzept, welches die Großzahl der Schüler nicht motiviert, sollte doch wohl in Frage gestellt werden. Ihnen eine Auswahl verschiedener Sportspiele in begrenzten Bereichen anzubieten, würde dafür sorgen, dass jedes Interesse Anklang finden kann. Nur dann kann Bewegung glücklich machen.

Ungehorsam ist menschlich

Aber was tun Noten mit uns? Sie zwingen zum Gehorsam. Ja Schüler sind manchmal laut, frech und faul. Aus meinen Weiterbildungen mit Sportlehrern könnte ich genau das gleiche Bild widergeben. Intelligente Erwachsene reden tatsächlich dazwischen, befolgen nicht immer die vorgeschlagenen Vorübungen und stoßen sich daraufhin, weil sie lieber selbst erfahren und hinterfragen möchten. Genau dieses Verhalten legen Schüler an den Tag. Ja sicherlich sind die Klassen zu groß, aber auf jeden Fall sollte Sportunterricht anders konzipiert werden. Ich erkenne in diesem aufmüpfigen Verhalten die Vorteile der menschlichen Natur, Gebrauch vom freien Willen und Verstand zu machen. Jemand, der nicht mehr hinterfragt und emotionslos Folge leistet, sollte uns am meisten ängstigen. Vor allem in seinem zukünftigen Arbeitsbereich. Der Psychoanalytiker Arno Gruen schrieb in seinem Buch „Wider den Gehorsam“, dass sich eigentlich niemand für gehorsam hält. Allerdings erkennen wir dabei nicht „,dass wir unsere Unterdrücker idealisieren und ihnen dadurch Macht über uns verleihen.“ Er schlussfolgert, dass wir nur besser miteinander leben können, wenn wir gegen die Kultur des verschwiegenen Gehorsams revolutionieren.[6]

Aus den genannten Gründen plädiere ich für die Abschaffung von Noten im Sportunterricht im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

[6] Arno Gruen: Wider den Gehorsam. Klett-Cotta, Stuttgart 2015